Das Gesetz nur kann Freiheit geben
24. April 2021
Das Speiereck. Jedes Mal wenn ich auf der Tauernautobahn aus dem Katschbergtunnel Richtung Norden rausfahre, auf die Mautstelle zu, steht es vor mir, mit einem mächtigen Südrücken und mit ausladenden, ideal geneigten Hängen. Okay, heute bist du dran! Der Wermutstropfen: bis auf 70 Hm unter den Gipfel führen Aufstiegshilfen eines schönen Schigebietes. Also eine langweilige Nachsaison-Pistentour? – Es wurde in einem bestimmten Sinn sehr anspruchsvoll!
Am Parkplatz drei Autos. Das ist schon mal fein! Der Schnee gefroren, gut zu gehen, die geräumte Straße, die wir öfters queren, ist mit einem Schneeband für uns Tourengeher überbrückt – Danke den Schigebietsbetreibern! Die schlechte Laune ob des Pistengehens weicht einem tiefen Gefühl von Müdigkeit. Ein Einheimischer kommt rechtzeitig angesprintet, um uns die Route vom Grosseck zum Speiereck hinüber zu zeigen. Auch dir: Danke! Kurz unter dem Grosseck-Gipfel machen wir Pause. Jetzt müssen wir 40 Hm links hinunter zu den Speicherseen, und dann den langen, steilen Hang zum Rücken hinauf.
Hoppala! Philosophie auf 2400 m Seehöhe? Ähm – hatte nicht Paulus ungefähr das Gegenteil behauptet? „Das Gesetz tötet, aber der Geist macht lebendig!“ – habe ich im Ohr.
Der Spruch auf dem Berg stammt von Johann Wolfgang von Goethe. Die letzte Strophe seines Gedichtes ‚Natur und Kunst‘ lautet:
Wer Großes will, muss sich zusammen raffen;
In der Beschränkung zeigt sich erst der Meister,
Und das Gesetz nur kann uns Freiheit geben.
Bei Goethe lese ich das als Plädoyer für Disziplin, Konzentration und geregelte Abläufe. Die Freimaurer verwenden den Satz bei der Öffnung ihrer Logen – warum, blieb mir verschlossen. In dem Paulus-Wort, das ich im Ohr hatte (2. Korintherbrief 3, 6) wird das Gesetz – für Paulus das alttestamentliche Gesetz – zum Fallstrick und zur Quälerei: Es hält uns nur den Spiegel vor. Wir sehen darin, wie schlecht wir sind, der Nähe und Liebe Gottes unwürdig. In seinen Worten: Dem Tod preisgegeben. Aber: Es gibt ja den Geist Gottes! Der wirkt wie ein Magnesium-Brieferl, erweckt, ermutigt, befähigt, und: wo er ist, da ist Freiheit!
Ehrlich: Ich halt‘ es lieber mit Paulus! Ich bin – durch Christus – befreit. Das ist tragend in meinem Leben. Ich brauche mich nicht durch Disziplin, u. s. w. freikämpfen! Allerdings: Wenn das Gesetz erst mal frei ist von dieser Last, befreien zu müssen, dann ist es durchaus hilfreich… meint übrigens auch Paulus.
Beim Zu-Tal-Schwingen merke ich nämlich, dass ich ein unbeschreibliches Freiheitsgefühl empfinde. Es entsteht dadurch, dass eine Reihe von exakten (Natur-)Gesetzen eingehalten wird, wie dass die Sonne den Schnee in Seidenfirn verwandelt, oder dass durch Entlasten und Verdichten Schwünge entstehen, …
Ich spüre pfingstlich-beschwingte Freiheit, die viel tiefer geht als alle Öffnungsschritte nach zermürbenden Lock-Downs!